HeimatReisen: Interview mit Jacqueline Nießer, Institut für angewandte Geschichte in Frankfurt (Oder)


Jacqueline Nießer – geboren in Hecklingen im Bundesland Sachsen-Anhalt – absolvierte nach ihrem Abitur ein Jahr lang einen europäischen Freiwilligendienst im ostfranzösischen Besançon – dem Geburtsort des bekannten französischen Romanciers Victor Hugo. Von 1999 bis 2005 studierte sie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) Kulturwissenschaften und ist seit 2006 Leiterin des Projektes „HeimatReise“ in der Oderstadt. Jacqueline Nießer spricht neben ihrer Muttersprache noch Englisch, Französisch und Polnisch...

Was – Frau Nießer – verbirgt sich hinter „transkultura e.V.“?

Hinter dem Begriff „transkultura“ verbirgt sich seit dem Jahre 2002 ein Verein deutscher und polnischer Studenten sowie auch Absolventen der Europa-Universität Viadrina, deren Anliegen es ist, die europäische Verständigung durch unterschiedliche grenzüberschreitende Projekte in Frankfurt (Oder), in Slubice und auch in der Grenzregion überhaupt zu fördern.

Und für eines dieser Projekte, dem ihr Verein den Namen HeimatReise gab, zeichnen vor allem Sie verantwortlich?

Seit Anfang 2006 – nach Abschluss meines Studiums und nach Bewilligung entsprechender Gelder von der Europäischen Union – begann ich für HeimatReise zu arbeiten und habe zunächst einmal dieses Büro, in dem wir hier unser Gespräch führen, eingerichtet. Nun aber – da die Fördermittel nicht mehr zur Verfügung stehen – führen wir das Projekt HeimatReise ehrenamtlich weiter.

HeimatReise – das lässt einiges ahnen – sagt aber zunächst noch wenig aus über das eigentliche Vorhaben ihres Projektes. Wie kamen sie auf die Idee, ein solches Projekt ins Leben zurufen?

Zunächst einmal glaube ich, dass diese Idee sehr stark mit dem deutsch-polnischen Profil der Viadrina zusammenhängt und der damit verbundenen Notwendigkeit, sich hier an der Europa-Universität mit derartigen Themen zu beschäftigen. Zum anderen liegt ein Grund wohl darin, dass das Vertriebenen-Thema in den letzten Jahren auch junge Menschen stärker als zuvor zu Reaktionen und Antworten auffordert.

Der EU-Beitritt Polens, die Vertriebenenorganisation Preußische Treuhand mit ihren angekündigten Entschädigungsklagen und der Bund der Vertriebenen mit seiner Idee eines Zentrums gegen Vertreibungen führten dazu, dass das Thema Vertreibung noch einmal in eine breitere Öffentlichkeit getragen wurde und sich nun auch jüngere Leute damit intensiver beschäftigen. Und gerade uns hier in Frankfurt (Oder) – denen doch besonders viel an guten deutsch-polnischen Beziehungen gelegen ist – uns hat es sehr betroffen, dass das Zentrum gegen Vertreibungen soviel Unruhe zwischen Deutschland und Polen gestiftet hat. Über lange Zeit hat man das Vertriebenen-Thema in einem Teil Deutschlands stark instrumentalisiert und im anderen Teil tabuisiert. Und so haben wir uns gefragt, wie können wir junge Menschen, die Interesse daran haben, dass sich Deutsche und Polen begegnen – wie können wir mit diesem Vertreibungsthema versöhnlich umgehen. Der konkrete Auslöser war dann ein persönliches Erlebnis, das uns bewog, betreute Heimatreisen anzubieten. Nachdem ein Mitglied unseres Vereins für seine Familie während einer Polenreise übersetzte und für sie zu deren dankbarer Zufriedenheit die sachkundige Reiseführung übernahm, da bekräftigte das nur noch unsere ohnehin schon vorhandene Absicht, solche „geführten“ Reisen auch Leuten anzubieten, die nicht aus der Familie kommen.

Viele unserer HEIMATBRIEF-Leser wird es überraschen, von diesen doch bemerkenswerten Motiven und Überlegungen zu erfahren, die „transkultura e.V.“ zum Projekt HeimatReise bewogen. Glaubte doch bislang so mancher, es seien vor allem kommerzielle Gründe gewesen. Um nun aber doch einen kommerziellen Begriff zu gebrauchen – welche Leistungen bietet denn HeimatReise seinen Kunden?

Wir haben ein kleines Faltblatt vorbereitet, auf dem eigentlich – kurzgefasst – alle unsere wesentlichen Leistungen aufgeführt sind. So heißt es dort u.a.: „Steht das Haus Ihrer Großeltern noch? Welche Geschichten haben die neuen Bewohner zu erzählen und woher kommen diese? Was ist aus der großen Kastanie im Nachbargarten geworden – und aus der alten Mühle, von der man so oft erzählte?

Finden Sie es mit uns heraus! Ob Sie nun nach alten Dokumenten oder nach Grabstätten Ihrer Vorfahren suchen – wir stehen Ihnen vor und während Ihrer Reise zur Seite, übersetzen Gespräche und vermitteln Kontakte.“ Und wir fügen diesem Faltblatt noch das Angebot hinzu: „Auch jenseits familiärer Spurensuche reisen wir mit Ihnen gern nach Polen. Dabei Begegnung, Austausch und Verständigung zu ermöglichen – das ist unser Ziel.“

Nun – das ist ja tatsächlich ein beeindruckend vielfältiges Leistungsangebot. Wieviele Mitarbeiter stehen Ihnen denn da zur Seite?

Also Mitarbeiter im Sinne bezahlter Angestellter gibt es bei uns nicht. Aber „transkultura“ kann sich auf fünfzehn ehrenamtliche Mitarbeiter stützen und das sind natürlich vor allem Viadrina-Studenten.

In ihrem Faltblatt bieten sie ja Reisen in ganz Polen an. Aber ich beschränke mich jetzt nur einmal auf die einstige Neumark und die ist ja auch nicht gerade klein – allein mein ehemaliger Heimatkreis Weststernberg umfasste 64 Dörfer und 3 Städte. Wie bereiten sie denn nun ihre Reisebegleiter auf individuelle Reisewünsche und Reiseziele vor?

Unsere Reisebegleiter kommen aus den „älteren“ Semestern, denn man braucht schon ein gewisses historisches Wissen sowie auch eine interkulturelle Kompetenz und man muss natürlich fließend Polnisch können. Was nun Ihre Frage nach der weiteren Reisevorbereitung angeht – wir bereiten uns in speziellen Seminaren vor. Da Sie die Neumark erwähnten – unser erstes Seminar stand unter dem Thema „Fremde Nähe – Zwischen Neumark und Lebuser Land“. Zunächst haben wir uns theoretisch mit der Geschichte der Region auseinandergesetzt und dann haben wir verschiedene Orte auf einer Studienreise besucht, vor Ort mit Lokalhistorikern gesprochen, uns Denkmäler angeschaut und uns an Ort und Stelle auch im Dolmetschen geübt. In einem weiteren Seminar beschäftigten wir uns auf die gleiche theoretische und praktische Weise mit Ostpreußen und nach ähnlichem Konzept haben wir uns mit Pommern vertraut gemacht. Gegenstand der diesjährigen Vorbereitung ist Niederschlesien und im nächsten Jahr wollen wir uns mit Oberschlesien beschäftigen. Zusammenfassend kann ich wohl mit Fug und Recht sagen, dass unsere jungen Fremdenführer – es sind im übrigen nicht nur deutsche sondern auch polnische Studenten und Absolventen der Kulturwissenschaften – dass sie alle fließend Deutsch und Polnisch – aber auch zum Teil noch andere Sprachen sprechen und dass ihnen Polen nicht nur durch die erwähnten Studienreisen, sondern auch durch darüber hinausgehende Studien- und Arbeitsaufenthalte sowie durch grenzüberschreitende Projektarbeit bekannt ist. Und vielleicht sollte ich in diesem Zusammenhang korrekterweise auch noch erwähnen, dass HeimatReise durchgeführt wird vom „Institut für angewandte Geschichte“ – welches in Zukunft an die Stelle des Vereins „transkultura“ tritt.

Nun wird es wohl aber höchste Zeit, Sie nach den ganz konkreten Schritten zu fragen, die ich einleiten müsste, um eine Reise mit ihrer Unterstützung und Begleitung zu unternehmen?

In einem Gespräch würde ich Sie zunächst über Ihre Reisevorstellungen befragen, um abzusehen, ob es möglicherweise umfangreicherer Recherchen bedarf, wie viele Tage wir etwa für die Reise benötigen – nun ja – um einige solcher Rahmendaten würde ich Sie zunächst bitten. Vom Umfang der eventuell erforderlichen Recherche hängt natürlich die Vorbereitungszeit ab. Sollten sich Ihre Ansprüche jedoch bereits im ersten Gespräch abklären lassen, würde ich Ihnen gleich einen unserer Reisebegleiter vorschlagen, mit dem Sie sich dann über Ihre Reisezeit und Reiseziele persönlich abstimmen können.

Das alles kostet ja nicht nur Zeit, es kostet ja vor allem auch Geld. Was müsste ich denn für Ihre Reiseberatung und Reisebegleitung einplanen?

So ganz exakt auf Euro und Cent lässt sich das nicht sagen, da ja jede Reise einer individuellen Vorbereitung bedarf und – wie bereits angedeutet – ja auch die Ansprüche an jede Reise unterschiedlich sind. Für die Vorbereitung, Beratung und Begleitung Ihrer Reise zahlen Sie für den ersten Tag 165 Euro, ab dem zweiten Tag 135 Euro. Diese Pauschale deckt alle Reisevorbereitungen, alle anfallenden Sachkosten sowie die Dolmetscherleistung ab. Wobei Sie natürlich alle üblichen Reisekosten selbst tragen.

Natürlich ist die finanzielle Seite wichtig – jedoch ernten Sie für Ihr anspruchsvolles Projekt auch Zustimmung und Anerkennung der Reisenden und wie reagiert man denn in Polen auf die HeimatReisen?

Bemerkenswert für uns Reisebegleiter – aber auch für die Reisenden – ist immer die Offenheit, mit denen uns die polnischen Bewohner begegnen. Besonders erstaunt und erfreut sind die deutschen Reisenden über die Gastfreundschaft, mit der man sie stets empfängt. Und das ist uns ein schöner Lohn und spricht doch auch für unsere Reisevorbereitung.

Das Gespräch führte Karl-Heinz Schneider

Heimatbrief, Herausgegeben vom Heimatkreis Weststernberg e.V., März 2007, Nr. 60.