Eine Liebe überbrückt 50 Jahre

Elwira Profé aus dem früheren Bärwalde heiratete den Polen Fortunat Mackiewicz, den sie 1947 kennengelernt hat

Mieszkowice ist ein verträumtes Städtchen östlich der Oder. Es liegt etwa auf der gleichen Höhe wie das deutsche Wriezen. Zu den Attraktionen des Ortes, der bis 1945 Bärwalde hieß, gehören der Marktplatz, die Backsteinkirche, das Kopfsteinpflaster und die Stadtmauer. Und Elvira Profé und Fortunat Mackiewicz, ein Ehepaar mit einer besonderen Geschichte. Diese beginnt im Februar 1945. Als die sowjetische Armee die Oder erreichte, um zum letzten Schlag in Richtung Berlin auszuholen, war Elvira Profé 19 Jahre alt. Sie war die Tochter des Inhabers der größten Fabrik im Ort, der „Maßstabfabrik Oskar Schubert". Deren Zollstöcke und Wasserwaagen wurden in ganz Deutschland verkauft.

Wie viele Bärwalder kam die junge Deutsche in ein Arbeitslager. Zunächst in das nur wenig östlicher gelegene Soldin (heute Myślibórz), wo die Russen einen Flugplatz bauten. Doch schon bald wurde sie für einen Zwangsarbeitertransport ausgewählt, der ins nördliche Russland ging. Bereits beim Transport in Viehwaggons kamen Dutzende Menschen ums Leben. „In Sibirien empfingen uns Hunger, Kälte und knochenharte Arbeit", erinnert sie sich. „Scharlach und Sumpffieber forderten weitere Opfer." Abgemagert und krank landete Elvira im Lazarett. „Als ich zu nichts mehr zu gebrauchen war, sagte irgendwann eine Krankenschwester zu mir: Profé, hast Glick, bist auf Liste nach Deutschland."

Nach einer erneuten Irrfahrt landete sie im Frühjahr 1946 in Frankfurt (Oder) und erfuhr, dass ihre Heimat nun zu Polen gehörte. Zufällig hörte sie von einer anderen Bärwalderin, dass ihre Eltern noch in dem Ort lebten. „Mein Vater hatte die Turbinenanlagen der Fabrik instand gesetzt, die zugleich den Ort mit Strom versorgten", berichtet sie. Polnische Fischer brachten sie über die gesperrte Oder. „Das ist die Tochter von der Elektrownia, hatten wir denen zugerufen." Schon bald nach dem glücklichen Wiedersehen mit ihren Eltern, die man längst aus ihrem Haus geworfen hatte, sollte es eine andere schicksalhafte Begegnung geben.

Bärwalde war inzwischen von Familien bewohnt, die zumeist aus den östlichen Landesteilen Polens stammten, welche sich die Sowjetunion angeeignet hatte. 1946 erhielt Walter Profé den Auftrag, die Produktion der Maßstabfabrik wieder in Gang zu setzen. Zu denen, die dabei halfen, gehörte die Familie Mackiewicz, die aus der Gegend von Wilna (Vilnius) gekommen war. Der Sohn, ein hübscher 25-jähriger Mann, war Elvira nicht nur wegen seines ungewöhnlichen Vornamens Fortunat aufgefallen, der Glück bedeutet. Auch der Pole hatte ein Auge auf die junge Deutsche geworfen. Es ist berührend, wie die über 80-Jährigen noch heute ihr erstes Rendezvous beschreiben: „Wir kamen uns menschlich näher", berichtet Elvira mit zartem Lächeln. Und Fortunat fügt fast verlegen hinzu: „Dann habe ich sie auf die Stirn geküsst. Elvira aber küsste nicht wie eine Geliebte, sondern wie ein Freund."

Wie aus heiterem Himmel mussten die letzten Deutschen Mieszkowice im Herbst 1947 verlassen. „Man gab uns eine halbe Stunde, um einige Sachen zu packen", erinnert sich Elvira. Aus einer inneren Ahnung heraus habe sie ihrem Geliebten noch eingeschärft: „Schreibe auf keinen Fall, Fortek." Sein Passfoto aber trug sie ihr ganzes Leben bei sich.

Die Profés gingen zunächst ins Oderbruch, wo drei Geschwister des Vaters lebten. Elvira beendete in Berlin eine pädagogische Ausbildung. „1948 baute ich dann die Land- und hauswirtschaftliche Berufsschule mit auf, die an verschiedene Schulen in Bad Freienwalde, Wriezen und anderen Orten angegliedert war." Ihr Vater machte einen kleinen Betrieb auf, wurde jedoch nach Gründung der DDR enteignet. Die Familie floh darauf in den Westen. Man landete im westfälischen Ort Löhne, wo Walter Profé noch einmal eine Fabrik für Meßwerkzeuge gründete, bevor er 1962 starb.

Elvira las viel über Polen, „das Land, ich dem ich die Hälfte meines Herzens zurückgelassen hatte." Fortunat muss es ähnlich gegangen sein, denn irgendwann schrieb er doch einen Brief – die Adresse hatte er von einem Profé-Zollstock, den er gefunden hatte. Eine Antwort erhielt er jedoch nicht. Die beiden heirateten aber auch keine anderen Partner. 1968 baute Elvira Profé in Westberlin eine Modellwohnstätte für geistig Behinderte auf. Dort war sie 20 Jahre Leiterin.

Nach der Grenzöffnung machte sie sich im Herbst 1991 zum ersten Mal auf den Weg in die alte Heimat. Sie war aufgeregt, doch es gab auch Grund zur Freude, als ihr ein Pförtner die Fabrik zeigte, in der noch immer Zollstöcke gefertigt wurden. Doch ihre Jugendliebe lief ihr nicht über den Weg.

Erst vier Jahre später erhielt sie erneut einen Brief von Fortunat. Man vereinbarte, sich am Bahnhof von Mieszkowice zu treffen, an dem es immer noch so wie früher aussieht. Aufgewühlt hätte sie sich vorzustellen versucht, wie ihr Wiedersehen wohl ablaufen würde, berichtet Elvira. „Als ich Fortek dann sah, wurde ich mit jedem Schritt ruhiger", beschreibt sie. Auch dem Polen erschien es in dem Moment, in dem sich die beiden in den Armen lagen, „als hätte es die 50 Jahre dazwischen nicht gegeben."

1996 bauten die beiden ein Haus. Elvira zog nicht nur nach Mieszkowice, sie gründete eine Frauen-Gymnastik-Gruppe und half bei der Schaffung einer Schule für Behinderte mit. Auch beförderte sie zahlreiche Kontakte über die Grenze, unter anderem zum Gymnasium in Bad Freienwalde. Im vergangenen Jahr entschlossen sich die beiden zu heiraten. „Da mich hier in Polen ziemlich viele Leute kennen, schien es mir besser, endlich ordentliche Verhältnisse zu schaffen", sagt die Deutsche mit ihrem trockenen Humor. Fortunat, der fest davon überzeugt ist, dass er nicht nur vom Namen her ein Glückskind ist, bringt es auf den Punkt: „Wir beide fühlen so, als hätten wir das ganze Leben miteinander verbracht."

MOZ vom 18. Oktober, Seite 3