Per Autobahn zur Fußball-EM
Wie ein sportliches Großereignis die jahrelang verzögerten Straßenbaupläne der polnischen Regierung befördert. Schon seit 20 Jahren existierten in Polen große Autobahnbaupläne. Die Fußball-Europameisterschaft, die 2012 im Nachbarland sowie in der Ukraine ausgetragen wird, lieferte endlich den Anstoß dafür, dass diese Pläne zumindest teilweise umgesetzt werden.
Wer von der A 12 von Berlin über Frankfurt weiter in Richtung Osten fährt, der trifft schon kurz hinter der Oder auf eine riesige Baustelle. "Derzeit haben wir um die 1300 Mitarbeiter und 950 Großgeräte im Einsatz", erläutert Peter Lorenz im besten Sächsisch. Der Mann aus Oschatz ist als Bauleiter für die österreichische Firma Strabag tätig. Diese ist Hauptauftragnehmer und künftiger Mitbetreiber des 105 Kilometer langen Autobahnabschnitts von der Grenze
bis kurz vor Posen, der seit zwei Jahren im Rekordtempo entsteht.
"Im Frühjahr 2008 erhielt Polen gemeinsam mit der Ukraine das Austragungsrecht für die nächste Fußball-Europameisterschaft. Und einige Monate später war dann auch endlich unser Vertrag mit dem polnischen Infrastruktur-Ministerium ausgehandelt, um den wir uns jahrelang bemüht hatten." Dieser Zusammenhang wird wiederum im Wiener Dialekt erläutert, denn Walter Neurathner - Chef des gesamten Projekts - ist Österreicher. Der 38-jährige lebt jedoch, ähnlich wie der Ostdeutsche Peter Lorenz, schon seit einigen Jahren in Polen. Er ist sich mehr als sicher, dass das Bauvorhaben wie schon von früheren polnischen Regierungen weiter verschoben worden wäre, hätte es nicht das sportliche Großereignis als entscheidenden Impuls gegeben. "Auch der Endtermin der Bauarbeiten wurde auf diesen November festgelegt, weil Anfang Dezember die Vorrundengruppen für die Fußball-EM ausgelost werden", erzählt Neurathner mit sichtlichem Vergnügen.
Am Dienstag dieser Woche bekamen der Sachse Lorenz und der Österreicher Neurathner Besuch auf ihrer Baustelle von rund 50 Unternehmern. Mitglieder und Gäste des "Deutsch-Polnischen Wirtschaftsklubs" in Posen, der sich einmal im Monat trifft, wollten wissen, wie lange sie noch auf die Fertigstellung der Strecke warten müssen. "Einige haben extra für diesen Termin ihren Sommerurlaub unterbrochen", sagt Angelika Menze. Denn die künftige Fahrzeit von Deutschland nach Posen dürfte sich um gut eine Stunde, die nach Warschau sogar um mehr als zwei verkürzen. Angelika Menze ist übrigens nicht nur Geschäftsführerin des Klubs und Chefin eines Beratungsunternehmens, sondern auch als Partnerschaftsbeauftragte für das Land Brandenburg in Posen tätig.
Für die Strabag, die europaweit fast 8000 Mitarbeiter beschäftigt, ist der 1,5 Milliarden Euro umfassende Auftrag für die 105 Kilometer lange Autobahnstrecke das bisher größte Geschäft in der Unternehmensgeschichte. Die Dimensionen sind gewaltig. Auf über 2,2 Millionen Quadratmetern mussten drei Lagen verschiedenen Betons gegossen werden, die zusammen 80 Zentimeter dick sind. Für den Unterbau wurden 6,6 Millionen Kubikmeter Erdmassen ausgehoben - darunter auch Torfvorkommen, auf deren Erhalt Umweltschützer besonders achteten - und ebenso große Mengen Sande und Kiese verbaut.
Der Autobahnbau ist jedoch auch wegen der ungewöhnlichen Mischfinanzierung aus öffentlichen und privaten Finanzierungsquellen eine Besonderheit. Trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise, die 2008 gerade ausgebrochen war, griff die Europäische Investitionsbank Polen mit einem Milliardenkredit unter die Arme. Dieser läuft genauso lange, wie die Strabag und der polnische Multimillionär Jan Kulczyk die künftigen Konzessionsrechte für die Strecke haben werden, nämlich 25 Jahre. Denn die Nutzung der Autobahn wird mautpflichtig sein, pro Pkw werden bis nach Posen um die acht Euro fällig werden.
Mit anderen Auftragnehmern hatte Polen freilich nicht soviel Glück. Ein chinesisches Staatsunternehmen erklärte sich vor wenigen Monaten nicht mehr dazu in der Lage, zwei Teilstücke auf der weiteren Strecke nach Warschau zu den vereinbarten Kosten zu vollenden. Dass die Asiaten ihr Angebot zuvor selbst um 30 Prozent unter dem in Europa üblichen Niveau gemacht hatten, gehört freilich mit zur Wahrheit.
"Dafür haben uns die Chinesen während der Bauarbeiten ganze Zugladungen mit Kies aus südpolnischen Gruben einfach weggeschnappt", berichtet Peter Lorenz. Die Strabag griff daraufhin auf Lieferungen aus der Brandenburger Lausitz zurück.
Bei dem Treffen sind eine ganze Menge Histörchen und ernster Probleme vom Baugeschehen zu erfahren. So wurden wegen der strengen Umweltauflagen aus Brüssel 13 Tierbrücken zum Überqueren der Fahrbahn angelegt. Diese sind oftmals sogar breiter als die Straßenbrücken. "Während der Laichzeit trug eine von uns beauftragte Firma eimerweise Frösche von der einen auf die jeweils andere Seite der Fahrbahn", so Lorenz. Künftig sollen diese Tiere den Weg zu den kleinen Tunneln selbst finden, von denen es Dutzende auf der Strecke gibt. Weil Polen dagegen mit dem Ausbau der Zufahrtstraßen nicht hinterherkam, werden an einigen Ausfahrtstellen der Autobahn vorerst nur Pkw und keine Lkw ausfahren dürfen, da die Nebenstrecken die Last nicht aushalten würden.
"Im Dezember könnt ihr alle nach Berlin fahren und dort eure Weihnachtseinkäufe machen", verspricht Lorenz den Unternehmern aus Posen. "Ja und von dort werden hoffentlich auch mehr Besucher zu uns nach Posen kommen", entgegnet der Chef des dortigen Sheraton-Hotels, Marco Foelske. Beide Städte lägen derzeit noch "gefühlte 500 Kilometer auseinander", dabei seien es in Wirklichkeit gerade einmal die Hälfte.